11 10 Ralf Dombrowski, Journalist und Fotograf aus München, schreibt und berichtet seit 1994 regelmäßig über Jazz, Musik und Kultur für zahlreiche Medien wie Bremsende Mythen Jazz ist auch die Musik der Vorbehalte. Das hängt mit seiner Mythengeschichte zusammen. Am Anfang war die Welt strukturell gesehen relativ überschaubar. Jazz hatte seinen Platz im segregierten Amerika. Er war rassistisch markiert als die Musik der anderen, die nicht zu jener kolonialen Klasse gehörten, welche die kulturellen Werte dominierte. Er gehörte zu den Gegenwelten des Puritanismus, dem Nachtleben, zu Riten und Bräuchen der Ära der Sklaverei, veröffentlicht auf „Race Records“, etwas jedenfalls, das die ehrbaren weißen Bürger*innen nur mit spitzen Fingern oder Lust an der Exotik anzufassen wagten. Allerdings war er erfolgreich, fand den Weg ins Entertainment, in Radio und Film, in die Truppenbetreuung. Und in die Konzerthäuser. Das war ein Zeichen für einen Strukturwandel in der Musik. Dienstleistung wurde zu Kunst, die Swing-Spieler*innen zu Bebop-Solist*innen. Jazz dockte an die klassische Vorstellung der Romantik an, der zufolge nur Großes erreichte, wer sich als aus sich selbst heraus schaffendes Genie fortwährend neu erfand. Mehrere Mythen kreuzten sich folgenreich. Zum Innovationszwang des Genialischen kam die protestantische Leistungsethik (schneller, höher, weiter!), außerdem ein hochkultureller Minderwertigkeitskomplex (Jazz at the Philharmonic), der wiederum bald von politischem Sendungsbewusstsein (Bürgerrechtsbewegung) und dem Bedürfnis nach historisierender Authentizität (Black Power) ergänzt oder auch abgelöst wurde. Die Lust an der Musik wurde an neu entstehende, erblühende Disziplinen weitergegeben, an Pop und Soul, an Rock, Folk und andere populäre, merkantil aussichtsreiche Sparten. Die Jazz-Blase Das Resultat für die Hörenden war anstrengend. Denn die Musik wurde zur Kunst. Und Konsument*innen wurden zu Kompliz*innen. Das ging gut, solange sich Bedürfnisse noch überschnitten. Der Jazz kreierte mit den Clubs neue Räume des gegenseitigen Einverständnisses und der beidseitigen Begutachtung. „Jazzhören wurde selbst zur Kunst.“ Während die einen sich in rasanter Geschwindigkeit gestalterisch entwickelten, gingen die anderen dabei zunehmend in der Rolle bewundernder Andächtiger auf. Jazzhören wurde selbst zur Kunst und mit dem Experten entstand ein passender Typus des ästhetischen Verschwörers, dessen Zugehörigkeit zum Kreis der Initiierten sich über Insiderwissen und Leidensfähigkeit beweisen ließ. Das ursprünglich Umarmende einer Musik, die sich vor allem um den Ausdruck bemühte und dafür tendenziell alles zuließ, was ihn unterstützte, verengte sich auf der Ebene der Rezeption zu einem System des Bescheidwissens, das Externe und Neulinge eher ausschloss, als sie integrierte. Im Umkehrschluss befeuerte das Expertentum wiederum die Musiker*innen, die sich in ihrem experimentellen Drang bestätigt sahen und sich immer weiter wagten, bis hin zur weitgehenden Auflösung formaler Kriterien der Gestaltung. Jazzhören wurde zur Arbeit innerhalb einer künstlerischen Blase. Das kommunikative Spiel zwischen Bühne und Publikum produzierte nicht mehr Neugier, sondern Angst. Das ist mir zu hoch. Das versteht ja keiner mehr. Die spielen ja alle free. Die Wiederentdeckung der Neugier Schwellenängste dominierten von da an das Verständnis. Man wollte sich nicht blamieren. Man wollte nicht zu den superschlauen Oberlehrer*innen gehören, die andere mit Partikularwissen langweilten. Ein Jazz, den man erst lange erklären musste, um ihn vielleicht zu verstehen, war unsexy. Doch dann änderte sich der Diskurs. Zum einen wandten sich die Musiker*innen nach der Auflösung des strengen Systems in Free und Avantgarde wieder der Aufforstung des klanglichen Kahlschlags zu. Sie integrierten Weltmusik, Kammermusik, Rock, Elektronik in ihre Kosmen und schufen so neue Hörangebote für das Publikum. Die heranwachsende Jazzpädagogik entschlüsselte außerdem die Mysterien der Personalstile und machte sie vielen Studierendenzugänglich.DieVermittlung,vor allem in Europa, professionalisierte sich und aus den Liebhaber- und Vereinsstrukturen wurden oft öffentlich geförderte Veranstaltungsorte. Neue Präsentationsformen wie Festivals ermöglichten programmatische Vielfalt und darüber hinaus die Ansprache eines größeren Publikums. Vor allem aber änderten sich die Hörbedürfnisse der Menschen. Das hing mit einem umfassenden Strukturwandel der Öffentlichkeit zusammen. In der Zeit der industriekapitalistischen Moderne konnte Jazz noch provozieren. Denn die vorherrschende Haltung war konservativ. Es ging darum, einen gesetzten Standard zu erreichen und zu erhalten. Mein Fernseher, mein Auto, mein Haus. Die Infragestellung einer Struktur war daher ein Angriff auf deren Bedeutung. Free war gleich Freak, der Wahnsinn der Ablehnung. Mit der Sättigung der Märkte kippte das System. Ein zweiter Fernseher war kein Glücksversprechen mehr, ein Leben ohne Standard hingegen schon. Was war dein größtes Risiko, Makiko Hirabayashi? Makiko Hirabayashi spielt mit ihrem Trio am 21. April im Pantheon Throughout my life, I’ve lived in four different countries on three continents – all very different in their culture and ways of life. While moving from Japan to Hong Kong at the age of 11 and having to start in a British school (without knowing a word of English!) has been the biggest cultural shock that changed the rest of my life, this was not my own decision. After returning to Japan for some years, I got the uncontrollable urge to get off the railroad that was rolled out before me, and decided to jump off. Leaving Japan at the age of 20 to study music in Boston was a big adventure, but I could still go back, if I wanted to. My years at Berklee were full of hope and new discoveries. The biggest risk I’ve taken in my life was probably when I decided to move to Denmark after three years in Boston, to start a new life in yet another foreign country with a partner that I got married to. I had no way of knowing how it would turn out, and this time I felt that there was no way of going back. I was on my own and had to start all over again from zero. My luck was that I played music, which is a universal language. Music is by far the best language that I speak! die Süddeutsche Zeitung, Jazz thing, das Münchner Feuilleton, den Bayerischen Rundfunk und den WDR. Jazz ist eigentlich ein Missverständnis. Die einen wollen Musik machen, mit der sie sich bestmöglich ausdrücken können. Die anderen wollen unterhalten werden. Kunstschaffen mit der Aura der Innovation trifft auf Hörkonsum mit bestenfalls kleinem Überraschungsfenster für Abweichungen von der Gewohnheit. Das ist vereinfacht, natürlich. Im Kleinen gibt es Abweichungen in Richtung gegenseitiger Toleranz. Verstehen ist möglich, aber nicht üblich. Denn es setzt kommunikative Bereitschaft voraus, die Singularität der anderen anzuerkennen. Es geht um die Gleichwertigkeit des Besonderen im allgemeinen Ganzen. Um Kultur als Gleichzeitigkeit der Unterschiede, die nicht bedrohlich, sondern anregend, inspirierend verstanden werden. Weniger ich im wir. Weniger Sicherheit, Vorhersagbarkeit, Eindeutigkeit. Damit hört man sich ins Risiko. so schön bunt MUSIK ist ein Rät s e l. Niemand weiß, warum es sie gibt und wofür man sie braucht. Seit drei Jahrzehnten beschäftigt sich der Journalist Ralf Dombrowski mit dem Widerspruch, über etwas zu schreiben, was sich der Beschreibung und, wie der JAZZ, gerne auch der REGELHAFTIGKEIT entzieht. Da hilft ein Blick in die Geschichte des Hörens und Bewertens.
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