zettbe: das magazin zum jazzfest bonn 2024

Was war dein größtes Risiko, Harold López-Nussa? Harold López-Nussa spielt mit seinem Quartett am 21. April im Pantheon 13 „Mit der Idee der Selbstverwirklichung hielt das Kreative, das Künstlerische Einzug in der Bürgerlichkeit.“ Mit der Idee der Selbstverwirklichung hielt das Kreative, das Künstlerische Einzug in die Bürgerlichkeit. Neugier und Ausprobieren hatten wieder einen Sinn, solange es der Selbstentfaltung diente. Jetzt konnte man auch einfach Jazz nur hören. Die Segnung der Expert*innen wurde überflüssig, das persönliche Empfinden rückte in den Mittelpunkt. Die große Freiheit Das machte es für den Jazz nicht einfacher. Auf der einen Seite war alles erlaubt, auf der anderen wusste niemand mehr, was wem gefiel. „Wenn alles gleichwertig ist, wie erkenne ich, was auch wichtig ist? Womit ich meine Zeit verbringen soll?“ Mit den Achtzigerjahren startete die große Zeit der experimentellen Festivals, gleichzeitig rutschte der Marktanteil des Jazz immer weiter Richtung Bedeutungslosigkeit. Wahrnehmung globalisierte sich, aber zugleich entkörperte sich die künstlerische Erfahrung und wurde zu Datensätzen. Die potentielle Chance einer Gesellschaft der Singularitäten mit ihrer Gleichzeitigkeit der Besonderheiten mündete für die spätmoderne Welt in eine Freiheit, die neue Unsicherheiten entstehen lässt. Denn wenn alles gleich wertig ist, wie erkenne ich, was auch wichtig ist? Womit ich meine Zeit verbringen soll? Was verdient Aufmerksamkeit, Anerkennung und warum? Und wo stehe ich in dieser Ambivalenz der Ansprüche? Wahrscheinlich mittendrin. Populistische Lösungsvorschläge des pluralistischen Dilemmas führen in der Regel zur Vereindeutigung der Welt. Das EntwederOder aber verneint die Vielfalt. Versteht man hingegen „Jazz im Sinn eines Verfahrens und nicht im Sinn eines Genres“ (Christopher Dell), gibt es Auswege aus einer binären Vorstellung von Kreativität und Weltverständnis. Und das betrifft nicht nur die, die Musik machen, sondern auch alle, die sie hören, veranstalten, promoten und verbreiten. Ein bisschen Risiko Wollte man einen Leitfaden für die Option spätmodernen Hörgenusses schreiben, könnte an erster Stelle die Fähigkeit stehen, Unterschiede auszuhalten. Was nicht meiner Gewohnheit entspricht, muss nicht von vornherein schlecht sein. Das ist eine Binsenweisheit, aber eine, an die sich weiteres anschließt. Denn an nächster Stelle könnte der Ratschlag stehen, nicht vorbeugend zu werten. Das Gehirn macht es sich zwar gerne leicht und freut sich, wenn die permanent getroffenen Vorhersagen seiner Wahrnehmung auch eintreffen. Aber es stagniert, wenn es seine Urteile nicht auch modifizieren muss. Wer schon weiß, wie es klingt, wird nie erfahren, wie es sich noch und womöglich besser, passender, pointierter anhören könnte. „Die Offenheit des musikalischen Systems Jazz ist eine Chance, an Lebenswelten anderer teilhaben zu dürfen. Was für ein Glück!“ Jazzhören kann daher ein Prozess mit unerwartetem Ausgang sein. Mehr noch, denn es kann auch an Assoziationen anknüpfen, derer man sich nicht oder nur wenig bewusst ist. Da geht es um Melodien der eigenen Vergangenheit, kollektives und kulturelles Erinnern, um Mehrfachkodierungen des akustischen Eindrucks mit Emotionen und Sinneseindrücken, das ganze Paket der bislang nur rudimentär erforschten Zusammenhänge von Musik und Gefühl. Und hier schließt sich der Bogen zum Risiko als Hörmaxime. Die Offenheit des musikalischen Systems Jazz ist anstrengend, weil oft unvorhersehbar. Sie lässt aber als improvisierendes Verfahren mehr zu als viele andere Klangformen, die rituell, kulturell, historisch geprägt und festgelegt sind. Es ist eine Chance, an Lebenswelten anderer teilhaben zu dürfen. Zu hören, was sie fühlen, zu ahnen, was sie denken. Was für ein Glück! < Lektüre zum Hintergrund Andreas Reckwitz: Die Gesellschaft der Singularitäten Thomas Bauer: Die Vereindeutigung der Welt Lisa Feldman Barrett: Wie Gefühle entstehen I moved to France with my family (daughters and wife) two years ago. Setting a new life in a new continent, country and culture so different from Cuba has been the biggest challenge in my life so far. Wir unterstützen ein vielfältiges Angebot an regionalen Kultur-, Musik- und Sportveranstaltungen. WIR IN BONN FÜR BONN

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