zettbe: das magazin zum jazzfest bonn 2024

37 36 Der lange Widerhall in Kirchen ist vor allem für perkussive Musik nicht immer von Vorteil. Hier werden Schallimpulse produziert, die meist eine hohe Energie besitzen. Sie sind deshalb besonders laut. Kommt es bei einem Schlagzeugspiel etwa zu schnelleren Trommelsequenzen, führt dies meist zu einem undifferenzierten Rauschen: dem umgangssprachlichen ‚Soundbrei‘. Die Wahrscheinlichkeit für diesen Effekt steigt auch mit zunehmender Ensemblegröße, Virtuosität oder medientechnischer Verstärkung. Tragende Musik hingegen, wie man es eben aus der Gregorianik oder von Orgelmusik kennt, wird von dem großen Raumanteil unterstützt. Sie wirkt dadurch erhabener und offener. Können Instrumentalist*innen auf den langen Widerhall reagieren, entsteht ein ästhetischer Mehrwert und der Raum tritt in ein produktives Resonanzverhältnis mit der Musik. Das Programm des Jazzfest Bonn reflektiert diese Erkenntnisse bereits. Soloperformances wie von Hubert Huss oder kleinere Besetzungen wie Jasper van’t Hof & Peter Materna und das Lisa Wulff Trio werden mit dem alten Kirchenraum des Collegium Leoninum hervorragend harmonieren. Ebenso funktionieren eher zurückhaltende Werke, wie man es von Richard Galliano im Bonner Münster erwarten darf. Zur Atmosphäre des heiligen Raums Doch beeinflusst auch die Raumatmosphäre das Konzerterlebnis. Nach Jürgen Hasse, einem deutschen Geographen und Stadtforscher, besitzen Kirchen eine „auratische Präsenz“, die so stimmungsmächtig wirkt, „dass sie gar nicht mehr aus der Perspektive emotionaler Distanz […] wahrgenommen werden kann.“ Und diese heilige Stimmung wirkt nicht nur beim Gottesdienst. An Bedeutung gewinnt in dem Zusammenhang der Begriff der „Transzendenzerwartung“, den der Philosoph Gernot Böhme vorschlägt. Dem Betreten einer Kirche geht ihm zufolge die Annahme voraus, eine die alltägliche Wirklichkeit überschreitende Erfahrung zu machen. Kirchenarchitekturen unterstützen also erhabene Gefühle. Sie machen empfindsam. Die religiöse Atmosphäre sensibilisiert die Sinne, sie werden wortwörtlich in Stimmung gebracht. Böhme spricht von einer „Rückgewinnung des Auratischen in der modernen Kunst“, das laut Walter Benjamin im Zeitalter der technischen Reproduktion anderen medialen Erfahrungsmustern gewichen ist. Und gerade für den Jazz trifft das zu. Ist die Tonaufnahme doch wichtig für die Aneignung verschiedener Spielstile gewesen. So hat der Musikwissenschaftler Mark Katz nachgewiesen, dass Jazzmusiker*innen Mitte der 1920er Jahre die Aufnahmen ihrer Kollegen*innen studiert und sich dadurch die unterschiedlichen Spielweisen des Jazz verbreitet haben. Konzerte im Bonner Münster oder im Collegium Leoninum verleihen den Werken eine Strahlkraft, die eine Medienmaschine eben nicht reproduzieren kann. Die Architektur und die Akustik erschaffen ein musikalisches Ambiente, das über andere Raumerfahrungen deutlich hinausgeht. Wundervolle Voraussetzungen also für den Organisten Franz Danksagmüller, der am 28. April 2024 ebenfalls in der Münsterbasilika zu hören sein wird. < Was war dein größtes Risiko, Franz Danksagmüller? Franz Danksagmüller spielt am 28. April um 20 Uhr im Bonner Münster 2018/2019 komponierte ich an einem Musiktheater, dessen Finanzierung erst ein dreiviertel Jahr vor der Premiere gesichert war. Der Text war noch nicht fertig, da begann – fünf Monate vor der Premiere – die kompositorische Arbeit. Musik und Text entstanden dabei teilweise parallel. Die musikalische Arbeit musste ich ebenso aufteilen: Die Singstimmen schrieb ich zuerst, die Instrumentalstimmen bzw. die Elektronik danach, parallel zu den Proben mit den Sängern. Die Probephase überschnitt sich dann wieder mit dem Kompositionsprozess, das Bühnenbild entstand parallel dazu und beeinflusste nochmal die LiveElektronik. Organisation und Komposition lagen in meiner Hand, die Tage waren strikt aufgeteilt: vormittags das kreative Schaffen, nachmittags die Organisation. Vor allem das Lösen von organisatorischen Problemen und das freie kreative Arbeiten voneinander zu trennen, sich nicht von den Problemen vereinnahmen zu lassen, war eine Herausforderung. Teilweise arbeitete ich die Nächte durch. Es war letztendlich ein kleines Wunder, dass die Premiere dann ohne technische Probleme funktionierte. Eine fulminante Kritik krönte unseren Erfolg und ließ all die Sorgen, die schlaflosen Nächte und die vielen Querelen in den Hintergrund treten. Das Hauptschiff des Bonner Münsters Jazz im Deutschlandfunk. JazzFacts, Jazz Live, Milestones, Radionacht Jazz und Klanghorizonte. Im Radio über DAB+ und UKW und in der Dlf Audiothek App 37

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