Musikalische Entdeckungen für zu Hause und unterwegs: Einige Künstler*innen bringen ihre aktuellen Alben zum Jazzfest Bonn mit. Wir präsentieren Ihnen eine Auswahl. Rebecca Trescher Tentett: Character Pieces Mai 2024, enja & yellowbird records Für ihr jüngstes Projekt hat die Klarinettistin und Komponistin Rebecca Trescher jedes Mitglied ihres langjähriges Tentetts um eine Idee gebeten. Die daraus entstandenen neun Werke spiegeln sowohl die musikalischen Persönlichkeiten der Musiker*innen wider als auch Treschers kompositorische Stärke. Eine raffinierte Mixtur aus sinfonischen Klangfarben, improvisatorischen Berg- und Talfahrten und rhythmischem Wechselspiel – zwischen luftiger Durchlässigkeit und spannungsvoller Verdichtung. Olga Reznichenko Trio: Rhythm Dissection Mai 2024 , Traumton Records Die Lust am Spiel mit ungeraden Metren zieht sich wie ein roter Faden durch das zweite Album der russischen Pianistin Olga Reznichenko. Das ist spielerisch hochanspruchsvoll, doch klingt das Sezieren von Rhythmen und Taktarten hier nie gewollt, sondern organisch und unprätentiös. Reznichenkos intuitives Spiel und ihre oft spätromantisch und impressionistisch gefärbte Harmonik sowie das lebhafte Drumming und subtile Kontrabassspiel ihrer Mitmusiker sorgen für zahlreiche überraschende Wendungen – ein intensiver Hörgenuss! Mia Knop Jacobsen: Ease April 2024, self-published An der Verschmelzung von zugänglichem Pop und der Komplexität des Jazz haben sich schon so einige versucht, gelungen ist es nicht vielen. Einen überzeugenden Vorstoß in diese Richtung macht die dänische Sängerin Mia Knop Jacobsen mit ihrem Debüt Ease. Die Songs seien Ergebnis eines ehrlichen und kreativen Heilungsprozesses, und tatsächlich wirkt die Musik beim Hören tröstlich und energetisierend zugleich. Unterstützt von einigen der profiliertesten Vertreter*innen der deutschen Jazzszene und ergänzt durch das herausragende mondëna quartet erschafft sie eine hochleidenschaftliche Musik von luzider Transparenz. Lisa Wulff: Poison Ivy März 2024, Laika Records Poison Ivy, die grün gewandte Schurkin aus dem Universum der Batman-Comics, stand Patin für diese Produktion der Hamburger Bassistin Lisa Wulff. Bei Wulff, die grün mittlerweile fast als Markenzeichen trägt, steht die Farbe aber für Naturnähe, Hoffnung und Optimismus. Auf dem Album feiert sie die musikalische Interaktion und hat ihr Stammquartett um allerlei illustre Gäste erweitert – von Trompeten-Jungstar Jakob Bänsch über Stimmtalent Alma Naidu bis zu Multiinstrumentalist Friedrich Paravicini. Das spielfreudige Personal dieser großen, bunten Musikfamilie sorgt für abwechslungsreichste Klangwelten, Farben und Stimmungen. Makiko Hirabayashi Trio: Meteora September 2023, enja & yellowbird records Auf den nebelumwobenen Bergspitzen des Pindosgebirges liegen in schwindelerregenden Höhen die Klöster von Meteora – der dänischen Pianistin Makiko Hirabayashi wurden sie nach einer Reise zur Inspirationsquelle. In ihrer schwebenden und traumartigen Musik verdichten sich spartanische Motive zu komplexen architektonischen Strukturen. Hirabayashis seit 20 Jahren existentes Trio wechselt gekonnt zwischen weiten, improvisatorischen Räumen und engmaschig ineinander verwobenem Zusammenspiel und lädt die Zuhörenden zum kontemplativen Verweilen ein. Harold López-Nussa: Timba a la Americana August 2023, Blue Note Records Zwei Jahre nachdem er aus Kuba nach Frankreich umgezogen ist, überführt Harold López-Nussa den Jazz seiner Heimat in die Gegenwart. Dabei knüpft der Pianist an die reiche Tradition kubanischer Tänze an, verbindet sie mit gewagten Polyrhythmen und erzählerischen Improvisationen, bricht klassische Songformen auf und kreiert so einen mitreißenden, zehn Stücke umfassenden Songzyklus. Perkussives und druckvolles Klavierspiel, eine unermüdlich pulsierende Batterie aus Schlagzeug und Percussion sowie virtuos perlende Mundharmonika-Linien malen ein farbenfrohes, verführerisches und absolut lebensbejahendes Bild. LiV Warfield: The Edge September 2023, Leopard Records Kantig, groovig und extrem selbstbewusst – wenn sie es nicht schon längst getan hat, tritt Ex-New-Power-Generation-Sängerin LiV Warfield mit The Edge endgültig aus dem Schatten ihres Mentors Prince heraus. Und findet ihren ganz eigenen Sound: „Alternative Soul“. Der deckt von rockig-druckvoll über funky und zurückgelehnt bis zu sensibel und gefühlvoll ein Riesenspektrum ab. Mit ihrem kraftstrotzenden Organ macht Warfield („Kriegsfeld“ auf Deutsch) ihrem Namen alle Ehre; groovetechnisch trifft ihre formidable Studioband, bestehend aus Marlon Patton (Schlagzeug), Ryan Waters (Gitarre), Jay McK (Bass) und Bobby Sparks (Keys), den Nagel Beat für Beat auf den Kopf. Julia Kadel Trio: Powerful Vulnerability Julia Kadel und ihre kongenialen Kolleg*innen, der New Yorker Schlagzeuger Devin Gray und die griechisch-deutsche Bassistin Athina Kontou, springen mit teils freien, teils gebundenen Improvisationen ins Ungewisse. Musikalisches Risiko par excellence! Mit Titeln wie Beautiful Introvert, Empathy Piece oder Distant Liebe zelebriert das Trio die eigene Verletzlichkeit und verwandelt sie in schöpferische Kraft. Kadel spielt abstrakt, oft atonal, und lässt der Musik viel Platz zum Atmen, bevor sich das Trio zu spannungsvollen, dramatischen Explosionen aufschwingt. Nachdem die Musik verklungen ist, bleibt ein Gefühl von Frieden und dem Eins-Sein mit der Welt und ihren Rätseln. Richard Galliano: Madreperla April 2023, Navona Records Dass man auch nach fünfzig Jahren auf der Bühne nicht stillstehen muss, demonstriert Richard Galliano in dieser berührenden Aufnahme mit dem South Czech Philharmonic Orchestra. In zwei Suiten und sieben Tänzen fusioniert Galliano sein halsbrecherisches und leidenschaftliches Akkordeonspiel mit der Dramatik und Tiefe eines Symphonieorchesters – und stellt einmal mehr seine stilistische Versatilität und die unermessliche Vielfältigkeit seines Instruments unter Beweis. 47
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