23 DIE „GROSSEN DREI“ DER MUSIK Solche Fragen stellen sich schlaue Köpfe schon seit Jahrhunderten. Vor allem, weil Menschen die positiven Wirkungen von Musik intuitiv spüren und anwenden, sagt der Musikwissenschaftler Prof. Dr. Gunter Kreutz von der Universität Oldenburg: „Eltern singen den Kindern fleißig etwas vor, weil sie die musikalische Ansprache brauchen.“ Das helfe den Kleinen in ihrer sprachlichen, psychischen und sozialen Entwicklung. Auch die wissenschaftliche Forschung ist sehr an Musik und ihrer Wirkung auf uns Menschen interessiert. Was dabei an Erkenntnissen zusammengekommen ist: ein äußerst buntes und durchmischtes Bild aus bisher kulturell und zeitlich diversen Vorstellungen. Schon 2013 wollte sich eine Forschungsgruppe damit nicht zufriedengeben und genauer definieren, welche Funktionen die Musik erfüllt. Sie schauten sich die Fachliteratur der letzten 50 Jahre an und fanden darin über 500 Gründe dafür, warum Menschen Musik hören. Indem sie ähnliche Nennungen zusammenfassten, kamen sie auf insgesamt 129 Funktionen und baten letztendlich über 800 Testpersonen, die Liste aus ihrer eigenen Perspektive zu bewerten. Die spannende Erkenntnis: Offenbar lassen sich die Funktionen von Musik in nur drei grundlegende Bereiche einteilen. Erstens hilft sie uns, Stimmungen und Emotionen zu regulieren – und damit auch unser Stresslevel. Das lässt sich leicht vorstellen. Wer traurig ist, kann durch Musik das Gefühl ausdrücken, sich beruhigen oder sich sogar aufmuntern. Zweitens helfen die Klänge dabei, sich selbst zu spüren. Was das bedeutet, erklärt Prof. Dr. Susanne Metzner: „Viele Menschen stehen im Alltag nicht mit sich selbst in Kontakt“, sagt die Professorin für Musiktherapie an der Universität Augsburg. „Dann merken sie beispielsweise nicht, wenn sie eine Pause brauchen.“ Musik könne dabei helfen, die eigenen Signale wieder stärker wahrzunehmen. Bei der dritten Grundfunktion geht es um soziale Verbundenheit. „Ob man Musik allein hört oder gemeinsam musiziert – es entsteht immer eine Nähe zwischen den Künstlern und den Zuhörern, eine Gemeinschaft, ein geteiltes Ideal von Kultur“, so Gunter Kreutz. WIE MUSIK UNS BELOHNT Eng verwoben mit diesen psychischen und sozialen Effekten ist, was währenddessen im Gehirn passiert. Das lässt sich etwa mit sogenannten bildgebenden Verfahren nachvollziehen. Dabei bekommen die Testpersonen Musik vorgespielt, während sie in einem funktionalen Magnetresonanztomographen (fMRT) liegen. So können Fachleute sichtbar machen, welche Gehirnregionen die Töne aktivieren. Vielleicht nicht allzu überraschend für Musikfans: Besonders deutlich reagieren Strukturen im Gehirn auf die Klänge, die zum „Belohnungssystem“ gehören. Denn tatsächlich gibt es Netzwerke von Nervenzellen, die aktiv sind und Botenstoffe wie das oft erwähnte Dopamin ausschütten, wenn wir etwas als positiv wahrnehmen. Dieser Mechanismus sorgt dafür, dass wir merken: Davon wollen wir mehr, das tut uns gut. Was leider nicht bedeutet, dass das Belohnungssystem wirklich nur auf gute Dinge reagiert. Es ist beispielsweise auch an der Entstehung von Suchterkrankungen beteiligt, wenn es uns unablässig vorgaukelt: Nikotin, Alkohol oder Computerspiele sind gut, bitte immer und immer mehr davon. Im Zusammenhang mit Musik allerdings vermittelt das Belohnungssystem in der Regel tatsächlich wohltuende Funktionen. „Das ist nicht unbedingt ein spezifischer Effekt und kann genauso gut auftreten, wenn jemand Yoga, Meditation oder Ausdauersport genießt“, sagt Gunter Kreutz. Seiner Erfahrung nach nutzen jedoch viele Menschen die Musik als einen Ausgleich im Alltag. HEILENDE KLÄNGE Lieder hören oder musizieren kann also die Gefühle regulieren, das Ich präsenter machen und soziale Verbindungen stärken. Zudem wird Musik als Therapie bei manchen Erkrankungen eingesetzt. Studien legen nahe, dass dadurch etwa depressive Symptome gelindert werden können. Bei einer Alzheimer-Demenz verbessern solche Interventionen die Lebensqualität und verringern Ängste, die oft mit der Krankheit einhergehen. Auch Menschen mit Autismus, Schlafstörungen, Schizophrenie oder einer Suchterkrankung können offenbar von Musik profitieren. Selbst auf akute und chronische Schmerzen können die Klänge einen Einfluss haben. Oft wird Musiktherapie als Zusatz zu medikamentöser oder Psychotherapie angeboten. Susanne Metzner sieht dabei große Vorteile: „Patientinnen und Patienten finden das oft leichter als beispielsweise ein psychotherapeutisches Gespräch – und es ist sogar niederschwelliger, als Sport zu treiben.“ So fänden mehr Menschen einen Zugang zur Behandlung. „Außerdem werden die Betroffenen dabei intensiver selbst in den Genesungsprozess eingebunden.“ Anstatt die Medikamente oder Therapien passiv über sich ergehen zu lassen, stärken sie mit einer aktiven Teilnahme an einer Musiktherapie ihr Gefühl der Selbstwirksamkeit. Sie nehmen also direkt wahr, dass sie etwas zu ihrer Heilung beitragen können. BALSAM FÜR JEDES ALTER Musiktherapien eignen sich für junge ebenso wie für ältere Menschen. So untersuchte eine Studie aus 2023, wie Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) darauf reagieren. Die Hälfte der Teilnehmenden nahmen drei Monate lang zweimal pro Woche an der Therapie teil, bei der sie Musik hörten und zusätzlich aktiv improvisierten. Die andere Hälfte ohne Musiktherapie diente als Kontrollgruppe. Dabei zeigte sich: Die musikalischen Sitzungen verringerten die Stressgefühle der Kinder und linderten depressive Symptome. Susanne Metzner ist zudem überzeugt: Musik kann in allen Bereichen des Gesundheitswesens hilfreich sein. Sie leitet deshalb das Projekt AMYGDALA: benannt nach einer Struktur im Gehirn, die unter anderem bei der Verarbeitung von Emotionen und sozialen Interaktionen wichtig ist. Ihr Ziel ist es, verschiedenste medizinische Vorgänge mit einer Musiktherapie zu begleiten und unterstützen. ›
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