27 Die Töne sind so leise, dass man das Öffnen und Schließen der Saxophonklappen und die Atemluft des Spielers hört, die er durch das Mundstück ins Instrument bläst. Die angespielte Tonfolge könnte aus dem Orient herüberwehen, und wenn er dazu noch zum brummenden, leicht pulsierenden Grundton der Shrutibox anfängt zu knurren wie ein Didgeridoo, dann fühlt sich der Zuhörer versetzt an einen eigenartigen, von allem Bekannten abgelegenen Ort. Hayden Chisholm arbeitet gerne mit der Shrutibox, einem traditionellen indischen Musikinstrument, das als tragbares Blasinstrument ähnlich einer kleinen Harmoniumkiste funktioniert und durch einen kontinuierlichen Luftstrom harmonische Bordunklänge erzeugt. Chisholm ist für seinen unverwechselbaren Stil und seinen innovativen Ansatz in der Jazzszene bekannt. Er gehört zu jenen Künstlern, denen das Publikum augenblicklich ruhig und konzentriert zuhört. Geheimnisvolle Klangästhetik Der aus Neuseeland stammende und seit vielen Jahren in Köln und Belgrad lebende Saxophonist, Klarinettist und Komponist verbindet Elemente der Jazzimprovisation mit Einflüssen aus verschiedenen Weltmusiktraditionen und schafft so einen einzigartigen und faszinierenden Klang. Die lyrische und introspektive Qualität seines Spiels, sein tastendes Erforschen neuer Farben und Texturen haben seine Techniken erweitert und feine Nuancen seiner improvisatorischen Herangehensweise freigelegt, die fließend und ausdrucksstark sind und Elemente aus Free Jazz, klassischer Musik und Folk-Traditionen aus der ganzen Welt integrieren. Chisholm hat ein Talent dafür, melodische Linien zu schaffen, die sowohl komplex als auch emotional berührend sind. Dabei zeigt er technische Virtuosität und musikalische Sensibilität. Mit der Formation Medna Roso hat Chisholm zusammen mit Organist Kit Downes und dem kroatischen Vokalensemble PJEV eine geheimnisvolle Klangästhetik entwickelt, die Technik, Intuition und Spiritualität miteinander verbindet. Titel wie Sluzbu sluzi Viden dobar junak (Der Gottesdienst wird von einem guten Helden, Viden, durchgeführt) sind wie geschaffen für die Kreuzkirche Bonn. Jazz in der Kirche: Ein gemeinsames Erlebnis mit dem Publikum Wer die ungewöhnlichen Projekte wie die Conversations des Schweizer JazzSchlagzeugers Florian Arbenz kennt, wird sich nicht wundern, den umtriebigen Musiker auch mal in einer Kirche zu erleben. Sein von einer tiefen Sensibilität getragener Schlagzeugstil reicht von fein nuancierten, fast flüsternden Texturen bis hin zu kraftvoller, energiegeladener Intensität, sein Spiel verbindet technische Präzision mit kreativer Ausdruckskraft und wird sicher mühelos die akustischen Herausforderungen des großen Kirchensaals meistern. Aber ein Jazzquartett? Der Baseler, der auch in der Londoner Jazzszene gut vernetzt ist, kommt mit seinem Projekt Arbenz X Krijger/Osby/ Churchill nach Bonn, also mit dem legendären und stilprägenden New Yorker Saxophonisten Greg Osby, dem niederländischen Hammondorganisten Arno Krijger und der jungen Londoner Sängerin Immy Churchill, die in der internationalen Jazzszene schon mit ihrer ausdrucksstarken Stimme und der Fähigkeit, eine breite Palette von Emotionen zu vermitteln, für Aufsehen gesorgt hat. „Sie ist ein super Link zwischen den Genres. Sie hat ihre eigenen Ansichten und ihre eigene Stimme. Man merkt, sie bewegt sich wie ein Fisch im Wasser, wenn sie mit Jazzleuten zusammen ist. Das ist für mich extrem reizvoll. Sie versteht, um was es geht beim Jazz und bringt andere, jüngere Elemente hinein“, erklärt Arbenz im Gespräch. Immy Churchill repräsentiert die nächste Generation der Jazzszene und verleiht dem Ensemble eine moderne Note. Jazz in der Kirche? Das ist gar nicht so weit hergeholt. Was wäre der Jazz ohne seine Bezüge zu Spirituals und Gospels? Jazz ist für viele Musiker*innen auch eine spirituelle Ausdrucksform. Ein gutes Beispiel ist sicher Coltranes A Love Supreme. Aber man muss nicht gleich eine religiöse Gemeinschaft gründen wie die Coltrane Church in San Francisco. In der Geschichte des Jazz gibt es viele Projekte, die in Kirchen umgesetzt wurden. Erinnert sei an Duke Ellington und seine Sacred Concerts, an Aufnahmen von Keith Jarrett, Barbara Dennerlein, Jan Garbarek. Es hat Jazzer*innen immer wieder in Kirchen gezogen. Vielleicht hängt das mit der Suche nach dem Transzendentalen zusammen. Vielleicht ist es auch einfach nur der wunderbare Sound in einer Kathedrale – ein Raum, der die geistliche Dimension des Jazz in den Vordergrund rückt. „Eine Live-Performance ist ein gemeinsames Erlebnis mit dem Publikum“, erklärt Arbenz. Das Konzert in der Kreuzkirche betrachtet er nicht als Herausforderung, sondern als Chance, die vorhandene Akustik und Atmosphäre für die Musik zu nutzen. „Es ist faszinierend, wie ein sakraler Ort die Interaktion zwischen Musikern und Konzertbesuchern fördern kann. Die Architektur, der Hall und die Stille schaffen einen Raum, der zum Zuhören einlädt.“ Der Jazz, so Arbenz, steht für Freiheit, Offenheit und Improvisation – Werte, die er in sakralen Räumen verstärkt wahrnimmt. Auch wenn er selbst nicht religiös sei, sieht er in Kirchen eine ideale Umgebung für ernsthaft gespielte Musik. „Jazz ist eine universelle Sprache, die Grenzen überschreitet. Sie passt wunderbar an einen Ort, der zum Innehalten und Zuhören geschaffen ist.“ Die Idee, das Konzert in der Kreuzkirche zu spielen, kam vom Intendanten des Jazzfest Bonn, Peter Materna. Für Arbenz passt das perfekt: „Greg liebt akustische Räume, und ich finde es spannend, unser Programm an die besonderen klanglichen Gegebenheiten anzupassen. Die Hammond-Orgel hat ohnehin ihre Wurzeln in der schwarzen Kirche und fügt sich da ideal ein.“ Für Arbenz ist Jazz nicht nur Musik, sondern auch ein Modell für gesellschaftlichen Dialog. „Im Jazz reagieren wir aufeinander, hören zu und schaffen etwas Gemeinsames, das größer ist als wir selbst. In einer Welt, die oft von Spaltung geprägt ist, zeigt unsere Musik, wie kraftvoll Kooperation sein kann.“ ‹ Hayden Chisholm PJEV
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