39 Zum Jazzfest Bonn kommt Olivia Trummer mit ihrem bewegenden neuen Soloalbum Like Water. In der intimen Atmosphäre des Collegium Leoninum präsentiert sie das Programm erstmalig offiziell live. Ich treffe Olivia Trummer an einem sonnigen Wintermorgen via Videocall. Sie befindet sich gerade in Italien, „irgendwo zwischen Mailand und Venedig“, wo sie Freunde besucht und neue Energie tankt. Trummer pflegt eine enge Verbindung zu dem Land, hat sich dort wie in Deutschland ein großes Publikum aufgebaut, gibt regelmäßig Konzerte und arbeitet eng mit ihrer italienischen Managerin zusammen. Das Zimmer, in dem Olivia sitzt, hat helle Wände und eine Decke aus schönen, alten Holzbalken. Mit offenem Blick und einem ansteckenden Lächeln schaut sie in die Kamera. Olivia, vielen Dank, dass du dir Zeit für dieses Gespräch nimmst. Dieses Jahr kommst du mit deinem neuen Album zum Jazzfest Bonn. Davor hast du viel im Band- und Duo-Kontext gespielt. Warum hast du dich nach all den kollaborativen Projekten für eine Solo-Einspielung entschieden? Als klassische Pianistin habe ich mich früh daran gewöhnt, allein auf der Bühne zu stehen. Diese Erfahrungen prägen mich bis heute. Solo zu spielen bedeutet Freiheit und Kompaktheit zugleich – jede Idee lässt sich unmittelbar umsetzen, da Klavier und Gesang aus derselben Quelle kommen. Es ist ein Raum, in dem ich meine gesamte künstlerische Identität vereinen kann. Natürlich schätze ich die Arbeit im Duo oder mit Bands, denn die Interaktion bringt neue Perspektiven. Aber im Solospiel gestalte ich meine Klangwelt vollständig selbst und kann mich frei entfalten – ohne Kompromisse. Dein neues Album entstand in Zusammenarbeit mit Russ Titelman, einem legendären Produzenten, der mit Größen wie Eric Clapton und George Benson gearbeitet hat. Wie kam es zu dieser außergewöhnlichen Kooperation? Das kam tatsächlich sehr unverhofft! Ein Algorithmus hat Russ auf meine Musik aufmerksam gemacht. Er sah ein Video meines Songs Peace of Love und meiner Darbietung der Chorfantasie, gemeinsam mit dem Beethoven Orchester Bonn, in der ich auch improvisiere. Diese Bandbreite hat ihn beeindruckt, und er hat mir eine Nachricht geschrieben. Anfangs war ich skeptisch, aber bereits nach einem Videocall war klar, dass wir eine gute Chemie haben. Zu der Zeit hatte ich bereits eine Idee für ein Soloalbum und erste Aufnahmen gemacht, aber irgendetwas fehlte da noch. Russ kam genau im richtigen Moment ins Spiel. Wie hat Russ Titelman als Produzent das Projekt beeinflusst? Er war eine wertvolle Inspirationsquelle und brachte mit seinem großen Erfahrungsschatz Struktur in den Prozess. Ich bin mit 30 Songs nach New York gereist, die wir gemeinsam durchgegangen sind. Russ hat geholfen, eine lyrische Richtung zu finden, Stücke auszuwählen und Arrangements zu verfeinern. Er hat Dinge gehört, die mir entgangen wären, und mir neue Horizonte eröffnet. Zudem hat er Songs vorgeschlagen, etwa I’m Old Fashioned und Somewhere, die es auf das Album geschafft haben. Russ war auch klanglich sehr präsent: Er war bei den Aufnahmen dabei, hat die Mikrofonierung mitgestaltet und Details beim Mastering optimiert. Wie würdest du die Musik auf dem Album und bei deinem Konzert in Bonn beschreiben? Mein Ziel ist es, alle Facetten meiner Kunst zu verbinden und einen organischen Fluss zu schaffen. Klavierspiel und Gesang agieren gleichberechtigt, wie ein tanzendes Paar. Unterschiedliche Genres gehen ineinander über und werden eins. Oft lasse ich Fragmente klassischer Stücke wie Beethovens Mondscheinsonate oder Bach-Präludien in eigene Songs oder Jazz-Standards übergehen. Ein Beispiel ist meine Interpretation des berühmten Songs My Baby Just Cares for Me. Es beginnt mit einem einfachen Motiv aus einer Beethovensonate, das durch die wechselnde harmonische Grundierung in immer neuen Farben schillert. Mein Wunsch ist, dass das Publikum die stilistische Bandbreite genießt, ohne echte Brüche wahrzunehmen. Und wenn bei den Hörern nach dem Konzert einige Melodien noch innerlich nachhallen, habe ich erreicht, was ich wollte. Der Albumtitel „Like Water“ passt zu deinem Ansatz. Was steckt dahinter? Like Water ist ein Song auf dem Album, der das Gefühl beschreibt, ganz in seinem Element zu sein – frei wie ein Fisch im Wasser. Gleichzeitig symbolisiert der Titel die fließenden Übergänge in meiner Musik. Er passt zu meiner Art, mich zwischen verschiedenen Genres zu bewegen, und zu meinem Wunsch, alles organisch klingen zu lassen. Du warst schon mehrfach beim Jazzfest Bonn. Was bedeutet dir dieses Festival? Das Jazzfest Bonn ist für mich eine feste Größe im Musikkalender. Das bunte Programm und die vielen ausverkauften Konzerte zeigen, dass man mit Jazz ein breites Publikum ansprechen kann, wenn es gut umgesetzt wird. Für mich war das Festival immer eine Plattform, um neue Projekte vorzustellen und mein künstlerisches Wachstum zu teilen. Findest du, Zuhören ist eine Kunst? Das ist es. In unserer Zeit, geprägt von Dauerbeschallung und schneller Verfügbarkeit, wird aufmerksames Zuhören immer seltener. Wie ein Muskel, der nicht trainiert wird, verarmt die Fähigkeit, Musik wirklich zu erfassen. Ich möchte Musik schaffen, die das Zuhören fördert – ohne visuelle Ablenkung, allein durch die Kraft des Klangs und die Intensität der Darbietung. Wie hörst du selbst Musik? Ich liebe es, mich auf eine Entdeckungsreise zu begeben, in andere künstlerische Werke einzutauchen und sie zu erforschen. Es geht weniger darum, möglichst breit zu hören, sondern vielmehr um die Tiefe des Erlebens. Beim Solospiel musst du dir selbst zuhören. Wie gelingt das? Es erfordert Intuition und Loslassen. Wenn es gut läuft, folge ich meinem inneren Dirigenten und treffe keine aktiven Entscheidungen mehr. Ich tue einfach nur, was getan werden muss. Mein SoloRepertoire ist jedoch vielschichtig und daher anspruchsvoll. Es ist wie eine Jonglage, ein Hin- und Herschalten zwischen verschiedenen Gängen – der notengetreuen Interpretation klassischer Werke, der Freiheit der Improvisation und dann noch dem Gesang. Genau das ist mein Anspruch für Bonn: alle Elemente zusammenzuführen und sie mit dem Publikum zu teilen. ‹
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