Gina Schwarz

To Drake and Not to Drake

von Wolf Kampmann

Nick Drake war kein Jazzmusiker. Die österreichische Bassistin und Bandleaderin Gina Schwarz findet aber vom Jazz aus einen neuen Zugang zu dem traurigen Troubadour und entlockt seiner Botschaft überraschend lebensbejahende Aspekte. 

Gina Schwarz / Bild: Gina Schwarz

Ein Künstler im Wandel der Zeit  

Zeiten ändern sich, und mit ihnen die Spannung auf dem Drahtseil des Lebens. Der britische Songwriter Nick Drake war ein Seiltänzer, ein Poet, der die Feinheiten des Lebens sensibel auszutarieren suchte, dabei aber nicht selten das Gleichgewicht verlor und 1974 nach drei Alben mit nur 26 Jahren endgültig wegrutschte. Viel Erfolg war ihm nicht beschieden, umso größer wirkt seine Legende nach. Nick Drake beschrieb in seinen Songs mit damals seltener Offenheit ein Lebensgefühl der individuellen Verlorenheit, das heute in den Jahren nach Corona viele Menschen teilen. Er wusste um die Risiken seiner Existenz in einem Umfeld, das unaufhaltsam voranschritt, ohne Rücksicht auf jene zu nehmen, die dieses Tempo vielleicht nicht mithalten konnten. Und wie kriechgangartig muten die späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahre im Vergleich zum Malstrom der Gegenwart an. Gerade junge Menschen fühlen sich nach Jahren der Isolation heute auf ähnliche Weise verloren wie seinerzeit Nick Drake und finden in dem Barden einen frühen Verbündeten.  

Was aber hat all das mit Gina Schwarz zu tun, einer Bassistin, Bandleaderin und Arrangeurin, die seit vielen Jahren zu den Aktivposten der Wiener Jazzszene gehört? Auf ihrem Album Way To Blue spendet sie Nick Drake Tribut. Doch einerseits gibt es auf dem Album keinen einzigen Song von Drake, darüber hinaus ist die Musik so bunt, prall und vielseitig wie das Leben. Neben nachdenklichen und introspektiven Tönen gibt es auch viele Lieder, die von Lebensfreude, Hoffnung und Kraft geprägt sind. Wie kann das sein?  

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Eine ungewöhnliche Annäherung  

Es war Gina Schwarz zu wenig, einfach nur vorhandene Songs in neuen Arrangements nachzuspielen. Sie entwarf eine Welt, in der ganz unterschiedliche Erfahrungsstränge zusammenliefen. Am Anfang stand ein Kompositionsauftrag. Lange bevor die Wienerin mit der Umsetzung dieses Auftrags begonnen hatte, sollte sie schon ein ausformuliertes Konzept abliefern. „Ich habe mich einen ganzen Tag hingesetzt und über hochtrabende Worte nachgedacht“, erinnert sie sich. „Aber dann fand ich, es wäre doch viel sinnvoller, etwas zu machen, was ich selbst gerade gern höre. Und das war eben Nick Drake. Ich konnte gar nicht aufhören, seine Songs zu hören. Warum sollte ich also etwas erfinden, nur um der Presse etwas zu geben. Nein, ich wollte mich mit Musik beschäftigen, die mich interessierte, und war mir sicher, dass mir schon etwas einfallen würde, wie ich sie verwende.“

So schrieb sie erst einen Pressetext, der für sie selbst zugleich die Formulierung einer Aufgabenstellung war, die sie dann nur noch erfüllen musste. Ihre Zugangswinkel sind dabei ganz unterschiedlich. Mal geht sie von den Texten aus, die jede Menge Anknüpfungspunkte bieten, um daraus Stimmungen abzuleiten. In anderen Songs sind es musikalische Ideen Drakes, die sie auf ihre Weise umarbeitet. Zum Beispiel extrahierte sie aus dem Song River Man den Gitarrenpart und teilt ihn auf zwei Klarinetten auf. In wieder anderen Tracks greift sie nur die Atmosphäre eines Drake-Songs auf, um damit in eine ganz neue Richtung aufzubrechen. „Ich habe mir aus jedem Stück das genommen, was mich am meisten fasziniert und mir jedes Mal neu die Frage gestellt, was ich selbst damit machen kann“, beschreibt Gina Schwarz diesen Prozess. „Lasse ich das Stück nur auf mich wirken, oder beziehe ich mich auf einen konkreten Part?“ Wer mit Drakes Werk vertraut ist und aufmerksam sucht, wird diese Anknüpfungspunkte und Referenzen finden. Doch die Musik besteht auch für sich selbst und sucht nach neuen Wirklichkeiten für das 21. Jahrhundert.  

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Wolf Kampmann

ist freier Publizist, arbeitet für Funk, Print und Online-Medien, unterrichtet an mehreren Hochschulen und ist Autor von Sachbüchern und Romanen.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede  

Bei allen Bezügen auf Nick Drakes Songs bestehen aber auch entscheidende Unterschiede zwischen den Vorlagen und den neuen Kompositionen. Dass die Songs von Gina Schwarz auf Gesang und Texte verzichten, ist dabei noch der nebensächlichste. Auffälliger ist die Vielfalt der Annäherungen im Gegensatz zum Gesamtwerk des Briten, durch das sich von Anfang bis Ende dieselbe gedrückte Stimmung zieht. „Ich habe dreizehn Songs geschrieben“, so Gina Schwarz. „Da kann man auch nicht jeden Song melancholisch, melancholisch und wieder melancholisch gestalten. Das geht nicht, denn dann gehen die Leute nach einem Konzert deprimiert nach Hause. Deshalb setzte ich den nachdenklicheren Stücken auch groovigere Songs entgegen. Manchmal nahm ich auch nur den Titel und machte dann etwas ganz Anderes daraus. In einem Song ist von ,Sandy Tracks‘ (dt.: Sandige Spuren, d. Red.) die Rede. Das assoziierte ich mit Wüste, und daraus wurde eine Art orientalisches Pattern.“ 

So macht Gina Schwarz aus den Songs und Stimmungen von Nick Drake oft das Gegenteil dessen, was es ursprünglich war. Trotz der depressiven Ausgangsmasse sucht sie nach dem positiven Ausgang in jedem Lied, bekennt sie. Es ist, als würde sie mit Nick Drake durch ein durchlässiges Netz Pingpong spielen. Dazu kam noch eine andere einschneidende Erfahrung, die Gina Schwarz so nicht vorhersehen konnte. Ein Tag bevor sie mit den Kompositionen begann, starb ihr Vater. „Das war so nicht geplant, aber irgendwie muss man ja damit umgehen. Ich baute einige Geschichten ein, die ich mit meinem Vater erlebt habe. Aus River Man machte ich zum Beispiel Cave Man und verarbeitete eine Erinnerung, wie wir im Garten ein Hockgrab aus der Bronzezeit fanden. Für ein Kind ist das natürlich sehr prägend. Ich habe mir unweigerlich vorgestellt, wie diese Menschen gelebt haben mögen. Dazu fiel mir dann eine Art rituelle Trance-Musik ein. So vermischen sich Nick Drakes Geschichten mit meinen persönlichen Geschichten, zumal das ja genau in der Zeit passierte, als er seine Platten rausbrachte.“  

Am Ende ist Way To Blue nicht allein eine Verneigung vor einem Großen der Rockgeschichte, sondern auch eine Begegnung zwischen Gina Schwarz, ihrem Vater und ihrer eigenen Kindheit.  

Gina Schwarz & Multiphonics 8 | mi 24 april ’24 19 h | LVR-LandesMuseum 

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